Europa im Eis

Nordlandtour mit dem Luxusschiff

Als Polarforscher Fridtjof Nansen 1893 mit der „Fram“ in die Arktis aufbrach, hatte er keine Balkonsuite. Er hörte kein Klavier-Konzert im Club Belveder, er aß nicht im Dieter Müller-Spezialitäten-Restaurant, nahm keinen Absacker in der Sansibar. Abenteurer waren sie, er und die anderen zwölf, die mit ihm zur See fuhren. Fasziniert von der „Expedition Eis“, Ausgang ungewiss. Proviant für sechs Jahre hatte der Norweger auf der Fram gelagert. Und vermutlich etwas anderen Proviant als wir.

Wann sehen wir die erste Eisscholle?

Unsere Tour ist die arktische Light-Version. Im Rahmen eines 20-Tage-Törns geht es nach Spitzbergen. Knapp vierhundert Gäste haben auf der Europa eingecheckt, allesamt heraus aus dem Abenteurer-Alter. Oder noch nicht drin: Rund dreißig Kinder sind mit an Bord, es ist eine Familienreise, so steht es im Katalog.

Drei Generationen will Hapag Lloyd unter ein Deck bringen. Nicht immer einfach, zumal auf diesem Törn auch ein paar Vertreter der „Generation Gehorsam“ reisen. Und die sind nicht unbedingt kompatibel zu Kindern. Zum Glück eine Minderheit. Aber alle vereint die Sehnsucht: „Wann sehen wir die erste Eisscholle?“ Und das im Hochsommer, der sich in diesen Breitengraden jedoch nicht als solcher entpuppt. Trübe ist es, als wir Island erreichen. Island, also Eisland, das ist so etwas wie das arktische Vorzimmer.

Papageientaucher lieben den Norden

Wir sehen erste Papageientaucher, die zwar nach Tropen klingen, aber die Kälte lieben. Erste schneebedeckte Vulkane tauchen auf – der nördliche Polarkreis ist nicht mehr fern. Und als wir ihn überqueren wird gefeiert: Die Polartaufe, das ist Tradition. Selbst auf einem Luxusschiff wie der Europa kreist der Aquavit, küssen Passagiere rohen Fisch und unterwerfen sich Neptuns sadistischen Neigungen. Gefeiert, getrunken wird auf der Europa – natürlich – mit Stil. Hier steht der Name „Breitengrad“ für geographische Position, nicht für Alkohol-Pegel.

Kinder-Cocktails: Mixen in der Sansibar

Das erste Eis sehen die Kinder: Im Cocktail-Kurs in der Sansibar dürfen sie die Würfel crushen und den eigenen Kids-Colada mixen. Zwanzig Tage ohne Strand – da müssen sich die Nannis an Bord schon mehr einfallen lassen als Kino und Computer. Also: Bärenbasteln im Kidsclub, Fechten (!) in der Europalounge oder Familienausflug und Baden in der Blauen Lagune auf Island. Ein letztes Wärmebad bei 38 Grad, bevor die Kälte kommt.

Karges Eiland: Jan Mayen

Es soll überraschend noch nach Grönland gehen. Dann tauchen sie auf, die ersten Eisfelder. Und der große Nebel. Vorsichtig manövriert der Kapitän die Europa durch die Schollen und das Polarmeer. Drei Knoten, mehr geht nicht. Er wird sich nicht durch das Eis kämpfen – Titanic-Lektion gelernt. Und so dümpeln wir an Grönland vorbei. Der Kompromiss heißt Jan Mayen, eine karge Vulkan-Insel „in the middle of nowhere“. Mit Zodiacs shuttelt die Crew ein Nachmittagsbüfett an Land. Der Lavastrand ist mit Treibholz übersät, auf einem Hügel steht das Grab holländischer Walfänger, an einzelnen Stellen finden wir Walfischknochen. Dort wird eingedeckt, und es gibt Kaffee und Kuchen. Irreal.

Eis in Sicht: Europa auf Nordkurs

Dann die nächsten Seetage auf dem Weg nach Spitzbergen. Diese Reise hat jetzt ihre Längen. Im doppelten Sinne. Hier reduzieren sich für viele Passagiere die Höhepunkte auf das Essen. Und da hat die Europa einfach kulinarische Könner an Bord. Was Sternekoch Dieter Müller in seinem Restaurant kreieren lässt, das kann auf keinem Schiff dieser Welt getoppt werden. Das „Duo von der Jakobsmuschel und Garnele Karottenstampf, Chili-Kokosfumet“ – so etwas gelingt nur nach vollendetem Kunststudium. Auch der Service an Bord hat sich Bestnoten verdient.

Zodiac-Touren in Spitzbergen Gletscher

Aber langsam quält die Frage: Wann sehen wir den ersten Eisbären? Endlich, in Spitzbergen, öffnet sich eine phantastische Eis- und Gletscherwelt. Das Ausbooten im Lilliehöökfjord wird zum Höhepunkt der Reise. Mit den Zodiacs nähern wir uns der Gletscherkante und erleben das Kalben der Gletscher. An der Abbruchstelle entstehen Eisberge, die uns bläulich schimmernd entgegentreiben. Nach und nach wird das gesamte Schiff ausgebootet. Dresscode für die Exkursionen: Gummistiefel und gefütterter MS Europa-Parka.

Safety first: Eisbärenwächter in Spitzbergen

Und dann wird der Eisbär langsam realer. Auf Spitzbergen leben mehr Eisbären als Einwohner, rund 3500 Exemplare. Mit den Tieren ist nicht zu spaßen. Ein Eisbär, der sich aufrichtet, ist 2,50 Meter groß. Also einen Kopf größer als Dirk Nowitzki. Der will nur spielen, der Eisbär nicht. So werden wir in der Siedlung Ny Alesund eskortiert von Rafael, einem Polen. Sein Beruf: Eisbärenwächter. Mit geschultertem Gewehr, einem Bärentöter wie bei Lederstrumpf, hält er Ausschau. Allerdings darf ein Eisbär erst geschossen wären, wenn er näher als 50 Meter ist. Dann ist es Notwehr, sonst ist es Mord und der Schütze kommt in Iglu-Isolationshaft. Was wir erst hinterher erfahren: Der Wächter kann nur einen Schuss abgeben. Und der muss den Eisbären zwischen die Augen treffen. Zum Nachladen ist keine Zeit mehr.

Eisbärenwächter hat nur einen Schuss

Was uns beruhigt: Wir sind nicht die ersten Kreuzfahrtpassagiere, die hier an Land gehen. Schließlich steht in Ny Alesund das nördlichste Postamt der Welt und jeder Besucher will von hier seine Ansichtskarte in die Heimat schicken. Vierhundert Passagiere – da muss die Europa-Crew dem Spitzbergen-Postbeamten beim Abstempeln helfen.

„Lloyd-Hotel“ in Möllerhafen/Spitzbergen

Auf dem Weg zum nächsten Spitzbergen-Stopp, Möllerhafen, das Erlebnis für die Kinder: In den Zodiacs begleiten sie die Europa durch die Fjordwelt bis zum Ankerplatz in der Bucht. Unvergeßlich. In Moellerhafen steht eine Legende der Seefahrt: das „Lloyd Hotel“. Bereits 1926 haben Matrosen des Norddeutschen Lloyd die kleine Hütte gebaut. Als Schutzbehausung für Expeditionen in die Arktis. Bei jedem Hapag Lloyd – Anlauf bekommt die Hütte einen neuen Anstrich, wird aufgefrischt, renoviert. Und die Passagiere tragen sich ins Gästebuch ein.

Arktisches Grillen in Spitzbergen

Die Küchen-Crew hat derweil das halbe Europa-Equipement zum „Lloyd Hotel“ getendert: großes BBQ mit Lagerfeuer, Grillwürsten, Erbsensuppe und Bier vom Fass. Großartig. Das hätte vielleicht auch Fridtjof Nansen gefallen. Und dann hätte er uns von den Eisbären erzählt. Wir sehen nur einen einzigen am letzten Spitzbergen-Tag: Ausgestopft in einer Boutique der Hauptstadt Longyearbyen.

SERVICE

Infos Spitzbergen

Svalbard ist der offizielle Name der Inselgruppe, die nur rund 1000 Kilometer vom Nordpol entfernt liegt. Verwaltet wird der Archipel von Norwegen aus, Hauptstadt ist Longyearbyen mit knapp 3.000 Einwohnern. Das Klima ist arktisch, rund 60 % der Fläche von Svalbard sind mit Gletschern und Schneefeldern bedeckt.

Spitzbergen – kalte Schönheit

Da die arktische Flora und Fauna sehr empfindlich ist, gibt es klare Richtlinien für Besucher. Das Betreten von Grünflächen/Moosen ist verboten. Touristen sollten nur auf den vorgezeichneten Wegen gehen und die Gruppe nicht selbstständig verlassen. Zur eigenen Sicherheit sollten Svalbard-Besucher immer in Begleitung von Eisbärenwachen gehen.